Meine Zeit in Jerusalem neigt sich langsam dem Ende zu. Nach Ostern werde ich nach Tabgha, in den Norden Israels, wechseln.
Arbeitstechnisch hat sich eigentlich nichts geändert. Die letzten Wochen waren allerdings geprägt von einer neuen Lebensfreude, durch die Lockerungen der Covid-Massnahmen und damit verbunden, auch sehr viele neue Bekanntschaften und gute Freundschaften. Aufgrund der Pandemie sind viele Volontäre alleine in ihren Einrichtungen und es entsteht natürlich der Drang mit anderen, gleichaltrigen Zeit zu verbringen. Somit haben die meisten von uns Volontären jede Gelegenheit genutzt die Anderen kennenzulernen. Zu meinen besten Freundschaften gehören die zwei Österreicher Matthias (Österreichisches Pilger-Hospiz) und Otto (Leo Beck Institut). Wir haben uns über große Zufälle gefunden und viel gemeinsam erlebt.
Unser prägnantester gemeinsamer Ausflug war ein Wochenende in der Negev-Wüste. Wir haben das Auto des Rektors vom Österreichischen Hospiz ausleihen dürfen und sind am Freitag vor Ostern mit Sack und Pack Richtung Süden gefahren. Die Reise führte uns wieder durch Be‘er Sheva, über den nächtlichen Highway, nach Mitzpe Ramon (schon während der Anreise sind verrückte Dinge passiert, über die wir immer noch gemeinsam lachen). Von dort fuhren wir über einen schmalen Weg zur ägyptischen Grenze, wo wir in einer kleinen Senke zwischen den Dünen, mit einigen Shabbat-Urlaubern, unsere Zelte aufschlugen. Wir verbrachten die Nacht am Lagerfeuer dreier junger Israelis und hatten sehr interessante Gespräche. Den klaren, leuchtenden Sternenhimmel, die reine Stille, die unangenehme Kälte und den kraftvollen, roten Sonnenaufgang der Wüste werde ich nie vergessen.
Mit drei Stunden Schlaf und abgefrorenen, ungeduschten Körpern, hielt sich die Lebensfreude initial in Grenzen. Nach einem ausgedehnten Frühstück in der warmen Sonne Mitzpes und den Blick auf den vor uns liegenden Tag gerichtet, sah die Welt aber wieder ganz anders aus und wir fuhren mit frischer Energie neuen Welten entgegen. Unsere Reise führte uns zum Highway 10, einer 30km langen Straße, direkt an der Sinai-Grenze zu Ägypten, welche normalerweise militärisches Sperrgebiet ist. Zweimal im Jahr ist es aber möglich den Highway, unter starker militärischer Bewachung und vielen Kontrollen, zu befahren. Hier gereichte es uns zum Vorteil, dass unser Wagen ein Diplomaten-Kennzeichen hatte. Anstatt also kontrolliert zu werden und gefragt zu werden, wo wir denn gedenken würden hinzufahren, erkundigten sich die Militärs nach unserem Wohlergehen und wünschten uns eine angenehme Weiterreise. Somit genossen wir völlig stressfrei die erbarmungslos schöne Landschaft der Sinai Region und den Blick in die strengen Ebenen und Berge Ägyptens. Am finalen Checkpoint am nördlichen Ende der Straße trafen wir zufällig die drei Israelis vom Vorabend wieder und wurden mit einem zweiten Frühstück beschenkt, während neben uns die Soldaten mit ihren Waffen rumliefen und all die Leute kontrollierten, die, genau wie wir, die landschaftlichen Vorzüge des Highway 10 genießen wollten.
Wir setzte unsere Reise fort in Richtung Küste. Nach einer Stunde Fahrt, in der die Umgebung von „Dreck und Sand soweit das Auge reicht“ zu angenehmer Mittelmeer-Flora wechselte, fanden wir uns plötzlich auf einem Hügel bei Sderot wieder. Vor uns erstreckten sich zwei riesige Zäune mit Stacheldraht und dahinter Gaza-City und die Mittelmeerküste. Man vernahm das leichte rauschen der Stadt, den fernen Gebetsruf eines Muezzins, das säuseln des Windes auf den grünen Wiesen und das sonore Summen israelischer Drohnen. Es war ein friedlicher Moment, am Rande eines Molochs, welches von Krieg, Unterdrückung und Mangel geprägt ist. Es herrschte eine surreale Stimmung als wir durch Sderot und Erez nach Zikim an den Strand fuhren. Wunderschöne Villenviertel mit sattgrünen Vorgärten und Liegestühlen, nagelneue Straßen und sprießende Flora. Dazwischen gepanzerte Bushaltestellen, Spielplätze mit Luftschutzbunkern, tarnfarbene Humvees und Väter mit Kippa auf dem Kopf, Kind an der Hand und M16 über der Schulter. Wir hatten die ganze Zeit die Bilder aus Gaza im Kopf, welche man aus den Nachrichten kennt. Am Meer genossen wir frisch erworbene Falafel und begaben uns, während unserer Gepräche über das Gesehene, auf Sinnsuche. Wir fanden nur wenig bis keinen Sinn und genossen lieber den energiegeladenen Sonnenuntergang während eines Strandspazierganges entlang von Stacheldraht, den Blick auf die rot erleuchteten Hochhäuser Gazas gerichtet.
freundliche Bewirtung und gute Gespräche |
warten auf den Sonnenaufgang |
aufwärmen am Morgen |
die Diplomaten-Karosse des Österreichischen Hospiz |